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Im alpenländischen Grenzland Südtirol spielt die Musik von Bürgerkapellen eine große Rolle: Über 200 Musikkapellen gibt es in einem Land, das nur eine halbe Million Einwohner*innen zählt. Das sind fast doppelt so viel Kapellen wie es Südtiroler Gemeinden gibt (116). Die Zahlen sprechen für sich: Über 9.300 Musiker*innen gehören einer dieser 200 Musikkapellen an, die im Schnitt 44 Mitglieder aufweist. Über die Hälfte dieser Musiker*innen sind jünger als 30 Jahre alt, was darauf schließen lässt, dass es keine Nachwuchssorgen in der Szene gibt. Musikkapellen sind bekannt dafür, mit ihrem Gemeinschaftsleben und der Freude zur Musik ganze Dorfgemeinschaften zusammenzuschweißen. Sie spielen bei Kirchfesten genauso auf wie bei Eröffnungen, und sie trumpfen letzthin mit einer regen Konzerttätigkeit. Besonders in Bozen, wo es gleich vier Bürgerkapellen gibt - neben der ältesten, der Bürgerkapelle Gries, auch die Stadtkapelle Bozen, die Bürgerkapelle Zwölfmalgreien und die Kapelle Corpo Musicale Mascagni.

Als die Bürgerkapelle Gries 1821 im heutigen Bozner Stadtviertel Gries gegründet wurde – als ”Grieser Musikgesellschaft“, war Gries gerade von einer eigenständigen Landgemeinde zu einer Marktgemeinde herangehoben worden, mehr noch. Sie war ein nobler Luftkurort im Habsburger Süden vor allem für Lungenkranke. Die allerersten ”Kur“-Konzerte waren demnach königlichen und kaiserlichen Honoratioren gewidmet, die hier Erholung suchten oder auf der Durchfahrt waren. Erst 1901 wurde die ”Grieser Musikgesellschaft“ in ”Bürgerkapelle Gries“ umbenannt, zur Zeit der wirtschaftlichen Hochblüte des Hotel- und Villen-Luftkurortes Gries, und erst 1925 unter faschistischer Herrschaft wurde Gries von der Stadt Bozen eingemeindet. Im Laufe der Jahre entwickelte sich die Musikkapelle zu einem beachtlichen Klangkörper, der bis heute einen tragenden Pfeiler im kulturellen Leben von Gries darstellt. Heute umrahmen sowohl die Kapelle als Ganzes als auch kleinere Formationen aus der Kapelle die zahlreichen kirchlichen und weltlichen Veranstaltungen.

Ein Meilenstein ihrer Geschichte ist ihr erstes Neujahrskonzert 1968 im Bozner Waltherhaus. Seitdem wurde keines ausgelassen. Freilich, das letzte ihrer Kapellengeschichte, musste aufgrund der Pandemie über den Radio-Äther ausgestrahlt werden, aber es fand statt. Und wie jedes gehörte es zu den Höhepunkten im Musikjahreslauf.

Vier Männer haben den Zusammenhalt und die Musikprägung entscheidend zu verantworten: Josef Silbernagel, Gottfried Furgler, Franz Targa und Georg Thaler. Silbernagel war 35 Jahre lang Kapellmeister, unter seiner Leitung avancierte die Kapelle zu einer der Spitzenkapellen in Südtirol. Gottfried Furgler, heute Ehrenobmann des Verbands Südtiroler Musikkapellen, und Franz Targa haben die Geschicke der Kapelle jeweils 21 Jahre lang als Obmänner geleitet. Seit nunmehr 23 Jahren steht die Kapelle unter der musikalischen Leitung von Kapellmeister Georg Thaler und seit 2017 unter der organisatorischen Leitung des Obmanns Roland Furgler. In diesen Jahren im Vordergrund standen vor allem die musikalische Entwicklung der Kapelle und die Suche nach neuen Entfaltungsmöglichkeiten der Blasmusik. Dieser Suche folgten eine Reihe von Auszeichnungen: Neben der erfolgreichen Teilnahme an verschiedenen Wettbewerben, u.a. mit dem 1. Preis beim internationalen Blasmusikwettbewerb “Filcorno d´Oro” in Riva, wurden in den letzten Jahren in Zusammenarbeit mit Kirchenchören, Künstler*innen und Artist*innen sowie mit einer Rockband interdisziplinäre Projekte durchgeführt. Im Jahre 2010 hat die Bürgerkapelle Gries den ”Würth-Förderpreis für besonders herausragende Projekte“ erhalten. Für ihre originellen Ideen und den zeitgemäßen Gestaltungswillen wurde die Bürgerkapelle Gries 2011 mit dem ”Südtiroler Blasmusikpreis“ ausgezeichnet, eine von der Landesregierung gestiftete Ehrung. Und 2019 hat sie beim Juventus Music Award den 1. Preis erhalten, als Förderung besonders nachhaltiger und musikalisch-gemeinschaftlicher Projekte.

Dank einer gezielten Jugendförderung - gemeint ist das Blasmusikluft schnappen von klein auf bei den ”Griessini“ und bei der Jugendkapelle - kann der Nachwuchs im kleinen Orchester mitwirken und so Teamgeist und Verantwortungsbewusstsein erleben. Die generationsübergreifende Freude am gemeinsamen Musizieren gehört entschieden dazu, das jüngste Mitglied ist 17 Jahre, das älteste 64. Wichtig sind der BK Gries auch soziales Engagement: So stand das Neujahrskonzert 2017 im Zeichen der Migration. Das Thema wurde aus der Sicht eines einzelnen Migranten musikalisch aufbereitet. Dabei erzählte der direkt Betroffene 24-jährige Aminur Islam aus Bangladesch die Geschichte seiner Flucht über Libyen bis nach Bozen. Das Schönste am Projekt? Allen Skeptikern und Kritikern zum Trotz hat es die BK Gries geschafft, dieses schwierige Gesellschaftsthema mit Hilfe eines Betroffenen und der Musik, greifbar zu machen und damit einen Beitrag für mehr Verständnis und Empathie in der Gesellschaft geleistet zu haben. Abgerundet wurde das Projekt mit Integrationshilfen für Kinder von Flüchtlingsfamilien und mit einer Bilderausstellung im Foyer des Konzerthauses. Dafür wurde die Bürgerkapelle Gries 2017 mit dem alpenländischen  Arge-Alp-Preis ausgezeichnet (”mit innovativen Ansätzen Integration ermöglichen“) und 2018 mit dem Förderpreis ”Weingut Ritterhof“. Heute zählt die BK Gries 83 Mitglieder (58% Männer, 42% Frauen) plus Kapellmeister. Das Durchschnittsalter beträgt 33 Jahre. Die Formation erlaubt ein riesiges Repertoire an Blasmusik-Literatur, mit Querflöten, Klarinetten, Oboen, Fagotte, Saxophone, Hörner, Trompeten/Flügelhörner, Posaunen, Tenorhörner, Tubas und Schlagwerk.

200 Jahr-Jubiläum: die Highlights
Die Vorbereitungen zum Bestandsjubiläum laufen auf Hochtouren. Die Aufführung einer von Thomas Doss eigens komponierten Blasmusikoper ist für Dezember 2021-Jänner 2022 geplant. Der Linzer Komponist und Dirigent Doss hat als literarische Grundlage den Bestseller-Roman „Blasmusikpop“ der österreichischen Autorin Vea Kaiser (*1988 in St. Pölten) herangezogen, die durch das gleichnamige Roman-Debüt 2012 zum Shootingstar wurde. Das Libretto verfasste Silke Dörner, die einen dichten humorvollen Operntext daraus gemacht hat. Die Blasmusikoper wird in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Bühnen Bozen uraufgeführt, im Großen Haus des Bozner Stadttheaters am Abend des 1.1.2022 (18 Uhr). Weitere Termine am 2.2.22 (18 Uhr), 5.1.22 (20 Uhr), 7.1.22 (20 Uhr), 8.1.22 (18 Uhr) und 9.1.22 (11 Uhr).

Nur so viel sei verraten:
„Blasmusikpop“ erzählt mit viel Ironie die Geschichte dreier Generationen im abgeschiedenen Bergdorf St. Peter am Anger. Der junge Johannes will nicht Fußball spielen, sondern forschen, um in die Fußstapfen seines Großvaters Johannes zu treten, dem ersten Doktor des Dorfes. Wissensdurstig nach der Welt hinter den Bergen geht er aufs Gymnasium, wo er die klassische Bildung mit allen Mitteln verteidigt. Als er unerwartet durch die Matura rasselt, folgt er dem Ruf seines Lieblingsautors Herodot, dem Vater der Geschichtsschreibung, und beginnt die Chroniken seines Heimatdorfes aufzuschreiben. Schließlich will es ein Zufall, dass er ein Ereignis verursacht und das Bergdorf damit für immer verändert. Weitere Höhepunkte im Jubiläumsjahr 2021 sind der Druck eines Jubiläums-Wochenkalenders mit witzigen Details und Anekdoten sowie eine Ausstellung zu den 200 Jahren BK Gries im Bozner Merkantilmuseum. Die interaktive Sonderausstellung wird von Mai bis Juli 2022 zu sehen sein und samstags von Kammermusik-Konzerten und Matinees der BK Gries begleitet.

www.bkgries.it