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Unter den fast 8.000 Gemeinden und 111 Landeshauptstädten Italiens sticht Bozen 2021 mit einem außergewöhnlich nachhaltigen Entwicklungskonzept heraus. Wir reden von mittel- bis langfristigen Maßnahmen. Bei der Auszeichnung ”Klimagemeinde Gold“ handelt es sich um den europaweit höchsten Preis für kommunalen Klimaschutz, vergeben vom europäischen Zertifizierungsprogramm ”European Energy Award“ und ins Leben gerufen von der Südtiroler Klimahaus Agentur. Aus ganz Europa haben sich bisher über 1.600 Gemeinden beteiligt. Ausschlaggebend war Bozens vorbildliches Vorgehen bei der Anpassung an den Klimawandel, durch Maßnahmen wie die energetische Sanierung kommunaler Gebäude, den Ausbau der Radmobilität, die Sensibilisierung der Bevölkerung für energie- und klimarelevante Themen und schließlich die Entwicklung eines ehrgeizigen Energiemanagement-Plans bis 2030.

Die Klimakrise im Nacken und die große Transformation vor Augen
Dass eine 360° Wende notwendig ist, bestreitet heute niemand mehr. Die Unbeherrschbarkeit der Natur mit außerordentlich ergiebigen Regenfällen, Überflutungen, Erdrutschen und Hitzeextremen im vergangenen Sommer haben uns global wie lokal aufgerüttelt. Was die gefürchtete Erderwärmung noch aufhalten kann, hat die EU in klaren Zielvorgaben für den Zeitraum 2021 bis 2030 definiert, im Rahmen des Europäischen Grünen Deals. Das UN-Klimaübereinkommen von Paris 2015 zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels und die Arbeit des Weltklimarats IPCC waren dafür die Grundlage. Dass auch auf der kleinsten territorialen Ebene, jener von Gemeinden, dafür gearbeitet und motiviert wird, macht das Ganze überhaupt erst greifbar. Durch den Beitritt zur europäischen Initiative ”Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie“ hat sich die Stadt Bozen verpflichtet, bis 2030 die eigenen Kohlendioxyd-Emissionen um mindestens 40% gegenüber dem Wert von 2010 zu senken. Daneben arbeitet man seit Jahren bereits an der Verdichtung der Stadtbegrünung, u.a. mit der Förderung von Gründächern, an der Entsiegelung von Böden, an der Förderung der energetischen Gebäudesanierung einschließlich Nutzung erneuerbarer Energiequellen, an der Verbesserung der Energieeffizienz in den gemeindeeigenen Gebäuden. Im Rahmen der Klimaanpassung setzt man auf den Gefahrenzonenplan, auf einen verbesserten Bevölkerungsschutz und den Ausbau bzw. die Instandsetzung von Hangsicherungssystemen. Auch hat man im Bozner Rathaus verstanden, dass es zum Erreichen der Ziele notwendig ist, das Bewusstsein der Bürger*innen zu verändern. Dafür wurde u.a. ein ”Klimasparbuch“ mit praktischen Tipps gestaltet. Die Broschüre, die es auch digital auf der Gemeindeseite gibt, weist praxisnah auf, wie der eigene ökologische Fußabdruck verringert und gleichzeitig Geld gespart werden kann. Übrigens, der durchschnittliche Fußabdruck in Südtirol beträgt derzeit 5,3 Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr (das ambitionierte Ziel bis 2050 liegt bei 1,5 Tonnen). Acht sind die Themenschwerpunkte, anhand derer man einen besseren Überblick über kommunale Angebote und Dienstleistungen erhalten kann: im Übergang zu erneuerbaren Energien, in der energetischen Gebäudesanierung, beim Vermeiden von Energie- und Ressourcen-Verschwendung, in der nachhaltigen Mobilität (44% der Emissionsquellen macht in Südtirol der Verkehr aus) und schließlich auch im nachhaltigen Konsum. Ein Zeichen für hohe Lebensqualität ist gerade die Qualitätder Umweltdienste einer Stadt: frisches gutes Trinkwasser, einwandfreie Gas- und Abwassernetze, eine Abfallbewirtschaftung, die sich sehen lässt, wie ein gepflegtes Stadtbild. Dafür ist in Bozen seit 20 Jahren die SEAB - Energie- und Umweltbetriebe Bozen AG zuständig. www.seab.bz.it

Natur-Tipp im urbanen Raum
Am orografisch rechten Eisackufer ist derweil auf einer 1,5 Hektar-Fläche ein Bioenergetischer Pfad als Freizeit-Lebensraum und Ort für eine regenerierende Pause entstanden. Die Stadtgärtnerei kümmert sich darum: 160 Bäume, davon 28 Spezies, von der Linde über die Buche und die verschieden Ahorne bis hin zur Kiefer, erzeugen unterschiedliche elektromagnetische Felder mit wohltuender Wirkung auf den Menschen. Eine akkurate Beschilderung erklärt die therapeutische Wirkung auf unterschiedliche Organe anhand der elektromagnetischen Frequenzen und lädt zum ”Treehugging“ ein und auf jeden Fall zum Verweilen in Flussnähe.

Mit dem Rad flotter
Wie kaum eine andere italienische Stadt verfügt Bozen über ein ausgedehntes innerstädtisches Radwegenetz: rund 50 km Radwege, die alle fünf Stadtviertel, alle Hauptziele miteinander verbinden, auch Sehenswürdigkeiten. Dem Urban Cycling widmet das Verkehrsamt eine eigene Broschüre mit neun thematischen Radausflügen und Tipps auf Bozner Stadtgebiet (fragen Sie beim Infoschalter nach!). Wer das Fahrrad benutzt, auch als Gast, fährt sicher und kommt schneller ans Ziel als mit einem Motorfahrzeug, meist sogar schneller als die Öffis, insbesondere zu Stoßzeiten. Die Gemeindeverwaltung plant derzeit einen Radschnellweg mit Überwachungskameras, geregelten Überquerungen sowie intelligenter Beleuchtung, Pumpstationen und Notrufsäulen. Und sie setzt schon lang auf einen engmaschigen Dienst für den Radverleih im Bikesharing-System, der nun mit öffentlichen Verkehrsangeboten (Autobusse, Züge und Seilbahnen) besser integriert werden soll und auch Elektro-Leihräder an verkehrsstrategischen Stellen zur Verfügung stellt.

Bolzano Bozen Card
Eine kleine Gästekarte macht seit über zehn Jahren den (nachhaltigen) Unterschied: Mit ihr lassen sich alle öffentlichen Verkehrsmittel Südtirols frei nutzen genauso wie Bozens Museen- und Schlösser-Landschaft kostenlos erschließen. Auch die Stadtführungen des Verkehrsamts gehören zu den Inklusivleistungen.

Das Bozner Fernwärmenetz
Eine herausragende Erscheinung in Bozen Süd unter Schloss Firmian mit seinem Messner Mountain Museum ist eindeutig der Alperia Tower, von weitem sichtbar. Seit vier Jahren begeistert der neue Wärmespeicher Vorbeifahrende vor allem nachts durch sein Lichtspiel. Der 40 Meter hohe Turm mit seiner  beleuchteten Aluminiumhülle verbindet technische Innovation mit Kunst und Architektur. Es wurde nach einem Konzept der Künstlerin Julia Bornefeld realisiert. Im Turm wird thermische Energie in Form von 5.850 Kubikmeter Wasser gespeichert, das durch die Abwärme der nahen Müllverwertungsanlage auf bis zu 95°C erhitzt werden kann, also ohne Verbrauch fossiler Quellen und ohne Ausstoß von CO2-Emissionen. Bei vollem Speicher wird so die gespeicherte thermische Energie (bis zu 220 MWh) für das städtische Fernwärmenetz bereitgestellt. Der Vorteil: Sie wird dann genutzt, wenn sie effektiv gebraucht wird, nämlich zu Spitzenzeiten. Das Bozner Fernheizwerk ist seit rund 30 Jahren in Betrieb und wird laufend ausgebaut. Wie wichtig Wärme in einer Alpenstadt wie Bozen ist, davon zeugt die gesetzliche Regelung, wonach von Mitte Oktober bis Mitte April geheizt werden darf.

In den letzten 120 Jahren ist die Durchschnittstemperatur im Alpenraum um rund 2°C gestiegen, wie die Forscher*innen der Europäischen Akademie Bozen EURAC, errechnet haben. Das ist doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. Gerade darum ist es wesentlich, dass der ganze Ballungsraum Bozen mit einer gezielten Energie- und Umweltpolitik gegen den Treibhauseffekt Verantwortung übernimmt. Auch die Beispiele Jenesien, Eppan und Ritten machen Schule.

Besonderes Engagement steckt Jenesien, die Gemeinde am Bergrücken oberhalb von Bozen, in die nachhaltige Energiepolitik. Dafür hat sie 2018 die Zertifizierung ”Klimagemeinde Silver“ und den European Energy Award für ihren besonderen Einsatz im nachhaltigen Umweltmanagement erhalten. Alle machen mit, das Energieteam im Rathaus, beraten vom Ökoinstitut in Bozen, aber auch die Kultur und Weiterbildung, der örtliche Kindergarten und die Schule und der Tourismus im dörflichen Gemeindegebiet, denn eines haben alle verstanden: Gegen die Erderwärmung arbeiten heißt auch die Lebensqualität im Dorf wesentlich zu steigern. Jenesien hat letzthin nicht nur den Ressourcenverbrauch und die Abgase drastisch gesenkt, sondern auch bei der Attraktivität unter umweltbewussten Gästen gepunktet. Denn die meisten Beherbergungsbetriebe und auch Bauernhöfe am Hochplateau sind bemüht, bei Unterkunft, Verköstigung und Freizeitangebot Außergewöhnliches im Sinne eines aktiven Umweltschutzes zu leisten. Im kommenden Schuljahr wird die bereits plastikfreie Grundschule zu einer echten ”Klimaschule“, die auf Schulweg, Jause, Schulmaterialien und Energieverbrauch im Schulgebäude achtet. Lokale und saisonale Produkte spielen im Ländlichen eine wichtige Rolle: Bauernmarkt, Hofläden, sogar ein Hof, der sich auf die Herstellung von Bier mit eigenen Hopfensorten spezialisiert hat, der Guggenbergerhof (Guggenbräu) in Afing. Und noch einer, der Menihof, der Urlaub auf dem Bauernhof in einer energieautarken Inselanlage anbietet. Was das heißt? Auf einer Lichtung mitten im Fichtenwald auf 1.250 m Höhe das Leben am Bauernhof mit eigenem Quellwasser, großem Regentank für die Bewässerung, einer Photovoltaik- und einer Hackschnitzelanlage gestalten und sich selbst versorgen. Auch Eppan an der Weinstraße ist seit 2018 ”Klimagemeinde Silver“. Neben einem kostenlosen Energie-, Bau- und Sanierungsberatungsdienst der Gemeinde, wurden zahlreiche Sensibilisierungskampagnen durchgeführt, die eine aktive Beteiligung der Bevölkerung im Fokus hatten. Erreicht hat man sie auch über das Eppaner Zukunftsforum 2020-2030, das weiterhin die Leitplanken der Klima-Gemeindepolitik bildet und hin zur Plakette ”Gold“ schielt. Fahren mit Öffis und Bike, auch eBike: Besonders aktiv ist Eppan in der Mobilitätspolitik, mit einem eigenen Bürgerschalter für nachhaltige Mobilität, mit Infoabenden, Preisen und Fahrradwettbewerben, mit einer sukzessiven Verbindung der übergemeindlichen Radmobilität und vor allem mit Akzenten für Pendler*innen: So hat das Rathaus in den letzten Jahren eBikes angekauft, die sehr günstig an Ortsansässige vermietet werden und, mit GPS ausgestattet, deren effektive Bewegungen aufzeichnen. Dieser Fuhrpark wird nun auf 120 aufgestockt, denn die Bikes gingen weg wie die warmen Semmeln. Ab 2022 sollen auch Pendler* innen innerhalb der Gemeinde damit einbezogen und Unternehmen motiviert werden, die Erreichbarkeit des Firmensitzes mit dem Fahrrad zu erleichtern und die eigenen Angestellten in das Projekt ”Radmobilität“ einzubinden.

Seit 2009 läuft auf über 1.000 Höhenmetern am Ritten ein Fernheizwerk und versorgt die zahlreichen Wärmeabnehmer in den Fraktionen Oberbozen, Wolfsgruben und Klobenstein mit Bioenergie: erneuerbare Holzressourcen aus dem Rittner Waldbestand werden dafür herangezogen, und die einhergehende Durchforstung des Waldbestands verbessert auch noch seine Qualität. Außerdem betreibt die Fernheizwerk-Genossenschaft Ritten eine Kompostieranlage für den im Gemeindegebiet anfallenden Grün-, Baum- und Strauchschnitt und verarbeitet diesen hochwertigen Dünger zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für biodynamische Wirtschaftsweise ARGE und Bioland zu Humus, der wiederum in der Biologischen Landwirtschaft Verwendung findet. Ein Vorzeigemodell ist die Gemeinde Ritten aber vor allem in puncto sanfter Mobilität: Die Verbindungen zur Talsohle sind sowohl über die schnelle und hochmoderne Rittner Seilbahn als auch über die außerstädtischen Busse hervorragend. Wer hier urlaubt, nimmt das Auto am besten gar nicht erst mit oder lässt es bis zur Heimfahrt in der Parkgarage stehen. Siehe www.ritten.com unter ”Ritten mobil“. Und wer mit dem Elektroauto auf den Ritten fährt, findet in Klobenstein eine öffentliche Ladestation. Und die Abfallvermeidungs-Aktion ”Refill your bottle“ hat am Ritten jüngst mit Erfolg Fuß gefasst, mit einer wiederverwertbaren Wasserflasche aus Edelstahl, die als Trink- oder als Thermosflasche dient und an die Milchbehälter erinnert, die früher bei den Bauern gängig waren. Sie ist in den Büros des Tourismusvereins Ritten käuflich. Derzeit arbeitet der Tourismusverein Ritten in der Gruppe des Nachhaltigkeitsindex‘ Tourismus Südtirol mit. Ziel ist es, 2022 auch als Pilot-Destination dabei zu sein.

Klimafit Mobil
www.gemeinde.bozen.it - siehe Bike Sharing Fahrrad Bozen
www.sasabz.it - innerstädtische Autobuslinien
www.suedtirolmobil.info - öffentliches Verkehrsmittelnetz in Südtirol mit Verbindungen und Fahrzeiten
https://www.altoadigemobilita.info/de/tickets/urlaub-und-freizeit - Mobilcard für den Urlaub: günstiger & nachhaltiger unterwegs