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Persönlichkeit des Monats: Francesca Verga

Francesca Verga leitet gemeinsam mit Zasha Colah den Kunstverein Galerie Ar/Ge Kunst in Bozen. Bereits der Name widerspiegelt das Ziel, das man sich gesteckt hat: Ar/Ge Kunst versteht sich als eine Gemeinschaft, die künstlerisch Akzente setzen möchte und kollektiv organisiert ist. Francesca Verga ist in Mailand geboren und arbeitet – nach ihren Erfahrungen in mehreren europäischen Städten – seit über zwei Jahren auch in Bozen.

Woher kommt Ihre Leidenschaft und wie hat sie sich entwickelt?

Meine Leidenschaft für die bildende Kunst und – allgemeiner ausgedrückt – für die bildende, erschließende Kraft der Bilder wurzelt tief: Meine Lehrerin in Kunstgeschichte-in der Schule war die erste, die mir beibrachte, dass das Sehen kein passiver Akt ist, sondern ein Prozess. Der Blick wird sozusagen trainiert. Alles Weitere hat sich aus dieser Erfahrung heraus entwickelt. Bereits als fünfzehnjähriges Mädchen lernte ich – wie so viele – aus den Büchern von De Vecchi und Cerchiari und konnte mich der Kunstgeschichte über die Geschichte von Orten nähern.

An der Universität habe ich paradoxerweise Kunstgeschichte nicht mit derselben Intensität wie im Gymnasium studiert, aber ich war von einer hungrigen Neugier getrieben, die mich dazu brachte, ständig über das theoretische Wissen hinauszugehen: Ich besuchte Ausstellungen und Ateliers von Künstlerinnen und Künstlern, kurz: ich wollte den direkten Kontakt mit dem künstlerischen Schaffen.

Was waren Ihre prägendsten Erfahrungen?

Vielleicht meine Arbeit für Manifesta 12, die 2018 in Palermo stattfand, und dann für Manifesta 13 im Jahr 2020 in Marseille. Beide waren für mich eine Art Übungsfeld in intellektueller und menschlicher Hinsicht, es waren Orte des interkulturellen Dialogs. Zu diesen Erfahrungen kam dann das Doktoratsstudium in zeitgenössischer Kunst an der Universität Amsterdam, das eine theoretische Vertiefung ermöglicht hat.

Wie ergab es sich, die Leitung von Ar/Ge Kunst zu übernehmen?

Ich hatte zuvor mit Zasha Colah zusammengearbeitet, mit der sich im Lauf der Zeit ein ebenso professionelles wie menschliches Verhältnis entwickelt hat. Es beruht auf gegenseitiger Wertschätzung und einer Vision, die wir teilen.

Deshalb entschieden wir uns, gemeinsam auf den öffentlichen Call für die künstlerische Leitung von Ar/Ge Kunst im Jahr 2022 zu antworten. Es handelt sich um eine Institution mit einer soliden und bedeutenden Geschichte; der Verein wurde 1985 gegründet und ist seit 40 Jahren aktiv.

Ar/Ge Kunst besitzt zugleich die seltene Eigenschaft, stets wach zu sein und auf zeitgenössische künstlerische Entwicklungen schnell zu reagieren. Sie ist weder ein Museum noch ein kommerzielles Projekt. Als Kunstverein wurzelt Ar/Ge Kunst in der mitteleuropäischen Tradition von Kunstvereinen, die sich der Förderung, Produktion und Verbreitung zeitgenössischer Kunst widmen, mit einem konstanten Fokus auf künstlerisches Experimentieren.

Und Bozen – wie würden Sie die Stadt und ihr Verhältnis zur zeitgenössischen Kunst beschreiben?

Aus persönlicher Sicht war die Rückkehr nach Italien – mit Basis in Mailand – nach der Zeit in Frankreich alles andere als selbstverständlich. Entscheidend war dabei, dass dieses Gebiet eine einzigartige interkulturelle Qualität besitzt, die es mit Nachdruck bewahrt.

Bozen ist eine Stadt, die sich aufgrund ihrer Geschichte als Kreuzungspunkt verschiedener Anliegen, Visionen und Spannungen versteht. Oft kritisch, aber fruchtbar. Die Gegenwart wird tiefgreifend hinterfragt.

Gerade deshalb besitzt Bozen, so denke ich, eine kulturelle Tiefe und Vielfalt im Bereich der zeitgenössischen Kunstproduktion, wie man sie in nur wenigen anderen italienischen Städten findet.

Die künstlerische Leitung von Ar/Ge Kunst liegt in den Händen von zwei Frauen. Wird die Geschlechterfrage in der Kunst am besten überwunden?

Ich denke, die zeitgenössische Kunst hat vor allem die Kraft, rigide Kategorien zu durchbrechen und zu hinterfragen, es geht in erster Linie also nicht darum, etwas zu überwinden. Ich glaube nicht, dass Kunst unabhängig vom Geschlecht funktioniert, sondern vielmehr durch das Geschlecht, indem sie dessen Voraussetzungen dekonstruiert, Konventionen hinterfragt und mitunter Deutungsrahmen beiseitelegt.

Ich glaube weder an eine weibliche Kunst noch an eine kuratorische Praxis, die an eine Geschlechtsidentität gebunden ist. Der kuratorische ist ebenso wie der künstlerische Akt vielschichtig, er kann nicht auf einen einzigen Punkt reduziert werden.

Für uns beruht die gemeinsame Leitung der Ar/Ge Kunst auf Dialog und Reibung, beides schöpferische Kräfte. Das Doppel, wenn man so will, ist somit keine Ausnahme, sondern wird bewusst und praxisnah gestaltet – abseits von vorgefassten Konzepten.

Bild: Francesca Verga, Courtesy Francesca Verga